Aus der Kolumnenreihe „Leipziger Stimmen“: Bei der Bundestagswahl wählte Sachsen vor allem AfD. Wer aber darüber redet, macht sich heute schnell des Sachsen-Bashings verdächtig. Die Schriftstellerin Ronya Othmann findet: Wir müssen es trotzdem tun.
In der Straßenbahn: Vor mir sitzen zwei ältere Damen. Praktischer Kurzhaarschnitt, beige und rote Regenjacke. Sie plaudern angeregt – Freundinnen, wie ich vermutete. Die Damen und ich sehen aus dem Fenster. Die Fußgängerampel springt auf rot. Da rennen zwei Kinder im Grundschulalter auf die Straße, wie Kinder manchmal so losrennen. Die Mutter packt sie an den Schultern, reißt sie zurück auf den Gehsteig, ein Auto bremst scharf. Ich atme erleichtert aus. Die Damen vor mir in der Tram schütteln den Kopf. Ts, sagt die eine. Wäre ja nicht so schlimm, sagt die andere, gibt ja eh zu viele von deren Sorte. Mir bleibt die Spucke weg, deren Sorte. Die Mutter und die beiden Kinder, offensichtlich mit einem sogenannten Migrationshintergrund. Eben saß ich noch hinter zwei lieblich plaudernden Ladys. Aber jetzt kam aus diesen Mündern dieser lieblich plaudernden Ladys so rohe Menschenverachtung, dass es mir, die ja auch so eine von dieser von den Ladys gemeinten Sorte ist, die Luft abschnürt. Wenn ich Leuten aus Köln, Hamburg, München erzähle, dass ich in Leipzig lebe, kommt oft zurück: „Wie schön! Was für eine tolle Stadt!“ Und das zurecht.
