Mit dem „Deutschland-Psychogramm“ fühlt der Gesellschaftsforscher Dirk Ziems von „concept m“ den Bürgern in Tiefeninterviews den psychologischen Puls. In einer aktuellen Studie hat er sich mit den Mentalitätsstrukturen der AfD-Wähler auseinandergesetzt. Zentraler Befund: Dialogangebote erscheinen als einzige Perspektive.
Die Brandmauer hält nicht mehr: In Thüringen wird erstmals ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt. In aktuellen Umfragen erreichen die Rechtspopulisten neue Höchstwerte. Doch die „etablierten“ Parteien haben zurzeit außer staatsbürgerlicher Belehrung und Ritualen der Abgrenzung keine Rezepte, wie sie dem Höhenflug der AfD begegnen können. Im Gegenteil: Im Politikbetrieb scheint eine Panik-Stimmung einzusetzen. Deutschland wird womöglich demnächst unregierbar, wenn sich die AfD bei über 20 Prozent festsetzt. Höchste Zeit, sich mit den psychologischen Mechanismen auseinanderzusetzen, die hinter dem Aufstieg der AfD stehen. Abschied in die alternative Realität
Bei unseren Interviews werden wir von AfD-Wählern häufig direkt angefeindet. Geballte Wut und ein unausgegorenes Grollen tritt uns entgegen. Die AfD-Sympathisanten haben sich in eine alternative Realitätskonstruktion verabschiedet, die den großen gesellschaftlichen Themen mit fundamentalem Zweifel begegnet. Staatsmedien betrieben „Propaganda“, Klimawandel sei Hysterie, Migration diene der Schaffung neuer Mehrheiten, und beim Ukraine-Krieg gehe es nur um amerikanische Interessen. So die gängigen Aussagen in unseren tiefenpsychologischen Interviews.
Überall ein Geraune über die „eigentlichen Hintergründe“, das dann doch im Ungefähren bleibt. Wenn wir im Interview die Geschichten der Gesprächspartner belasten, fällt manche Gewissheit in sich zusammen. Am Klimawandel sei schon was dran, wird beispielsweise eingeräumt. Nur eine deutliche Minderheit der AfD-Sympathisanten steigt auf die nationalistischen Politikentwürfe der rechtsgerichteten Partei ein. Ob das mit der Rückkehr zur D-Mark und dem Ausstieg aus der EU eine gute Idee wäre? Eher zweifelhaft. Auch Führungsfiguren wie Björn Höcke, die den Nationalsozialismus verharmlosen und rassistisches Gedankengut ausdrücken („lebensbejahender afrikanischer Ausbreitungstyp“), gehen unseren Interviewpartnern zu weit. Sie sind nicht von der Programmatik der AfD überzeugt, sondern wählen die Partei eher aus Protest und als Zeichen des Trotzes. Verführung durch populistische Scheinlösungsangebote
Wenn es gar nicht um die Programmatik der AfD geht, was macht die Partei dann so erfolgreich? Unsere Studie zeigt: Attraktiv ist vor allen Dingen der Populismus der einfachen Lösungen. Man hätte 2008 in der Finanzkrise die gierigen Banker bestrafen sollen.