Nach zwei Jahren Krieg hat Israel sein Trauma immer noch nicht verwunden. Wohin bewegt sich das Land nach der Katastrophe vom 7. Oktober 2023? Eine Rückkehr an die Orte des Grauens.
Nach zwei Jahren Krieg hat Israel sein Trauma immer noch nicht verwunden. Wohin bewegt sich das Land nach der Katastrophe vom 7. Oktober 2023? Eine Rückkehr an die Orte des Grauens.
Dies ist eine Geschichte vom Überleben. Eine Geschichte vom Schmerz, der Israel zwei Jahre nach der Katastrophe immer noch fest im Griff hat. Und eine Geschichte von zwei Männern, die sinnbildlich für die möglichen Richtungen stehen, in die der jüdische Staat steuert.
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Bitte passen Sie die Einstellungen an.Wie durch ein Wunder überlebt
Unter Itay Shabis Stiefeln knirscht der Schutt. In seinem Hosenbund steckt eine Pistole, die er seit dem Massaker immer auf sich trägt. Der hagere Mann wirkt entschlossen: Mit schnellem Schritt geht er auf sein ausgebranntes Haus im Kibbuz Beeri zu. Schon dutzendfach hat er Besucher hierhingeführt und ihnen seine Geschichte erzählt.
Am Morgen des 7. Oktober 2023 brachen Terroristen der Hamas die Tür auf, erschossen den Hund der Familie, zerstörten das Inventar. Die Hamas-Kämpfer versuchten, in den Schutzraum zu gelangen, wo sich Shabi mit seiner Frau Moran und den dreijährigen Zwillingen verschanzte. Für etwa fünf Minuten habe er den Riegel der Tür mit aller Kraft festgehalten, erzählt er. «Dann haben sie einen brennenden Reifen vor das Belüftungsrohr gelegt.»
Binnen Minuten zog der schwarze Rauch in den kleinen Raum. Obwohl rund um das Haus geschossen wurde, beschloss der Vater, die Metallplatte vor dem Fenster des Schutzraumes zu öffnen. Die Familie kletterte nach draussen und versteckte sich unter einer kleinen Palme. Für rund fünf Stunden sassen sie in ihrem eigenen Garten, während die Terroristen um sie herum mordeten und zerstörten. Itay Shabi und seine Familie entdeckten sie nicht. «Ich halte das für ein göttliches Wunder», sagt Shabi heute.
Nach fünf Stunden konnten sie auch draussen wegen des Rauchs nicht mehr atmen. Sie rannten los, bis sie einen nahen Wald erreichten. Shabi baute einen Hügel aus Ästen, unter denen sich die Familie bis zum Einbruch der Dunkelheit versteckte. Dann, über zwölf Stunden nach Beginn des Angriffs, hörte er Hebräisch. Endlich war die Armee eingetroffen.Itay Shabi betritt sein Haus, in dem Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 versuchten, ihn und seine Familie zu ermorden.Shabi demonstriert, wie er sich mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern für fünf Stunden unter einer Palme versteckt hat.
Doch damit endete der Schrecken nicht. «Ich erlebe den 7. Oktober jeden Tag», sagt Itay Shabi. In der Nacht habe er Albträume. Seine Kinder fragten immer noch, ob die Terroristen wiederkämen. Die Eltern seiner Frau Moran wurden am 7. Oktober ermordet. Früher arbeitete Shabi als Fahrer für die Druckerpresse in Beeri – die Haupteinnahmequelle des Kibbuz. Nach dem Massaker konnte er damit nicht mehr weitermachen. «Ich war zu lange mit mir selbst im Auto – das macht mich verrückt.»«Wir müssen zerstören, zerstören, zerstören»
Nun hat Shabi einen neuen Job: Der 43-Jährige ist für den Wiederaufbau des Kibbuz zuständig. Überall in der kleinen Gemeinde wird gebaut, viele der am 7. Oktober zerstörten Häuser wurden bereits renoviert. Shabi ist der Mittelsmann zwischen den Baufirmen und den Kibbuz-Bewohnern, die zurückkehren wollen. In Beeri entsteht zudem eine neue Nachbarschaft. Die meisten der Häuser sind bereits verkauft. Offenbar locken die relativ niedrigen Immobilienpreise immer noch viele Israeli in den Süden des Landes – trotz der Nähe zu Gaza.
Die meisten Bewohner, die damals aus Beeri evakuiert wurden, leben bis jetzt noch in Chazerim, einem Kibbuz südlich der Wüstenstadt Beer Sheva. Bis zum Sommer 2026 bezahlt die Regierung noch ihre Unterkunft. Dann sollen die Menschen planmässig zurückkehren – dorthin, wo der grösste Massenmord in Israels Geschichte geschah, wo bis heute stetig die Luftangriffe auf den Gazastreifen zu hören sind, die bereits Zehntausende Palästinenser das Leben gekostet haben.
Obwohl Shabi den Wiederaufbau leitet, ist er unschlüssig, ob er selbst jemals zurückkehren wird. Für ihn und seine Familie ist eins klar: Eine Rückkehr ist erst möglich, wenn «sie» auf der anderen Seite weg sind. Damit meint er nicht die Hamas, sondern die zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen – jeden einzelnen von ihnen.Shabi ist für den Wiederaufbau des Kibbuz zuständig: Hier steht er in einem fertig renovierten Haus.
«Es gibt keine Unschuldigen in Gaza», sagt der Mann mit ruhiger Stimme, als er in der Ruine seines Hauses steht. Auch für Kleinkinder macht Shabi keine Ausnahme: «Von der Geburt an wachsen sie in einer Kultur des Terrors auf.» Der Krieg im Gazastreifen dürfe nicht bei der Eliminierung der Hamas enden. «Wir müssen zerstören, zerstören, zerstören. Damit die Menschen nichts mehr haben, wohin sie zurückkehren können», sagt Shabi. Jede Explosion, die er aus dem Gazastreifen höre, mache ihn glücklich. «Ich möchte keine Menschen töten. Sie sollen nur nicht mehr hier sein. Bringt sie 100 Kilometer weit weg von hier, nach Ägypten.»Ein Land frei von Palästinensern
Früher habe er an eine Zweistaatenlösung geglaubt, sagt Shabi. Wie viele andere Bewohner der Kibbuzim rund um Gaza war er davon überzeugt, dass nur ein Friedensschluss Israels Zukunft sichere. «Nach dem 7. Oktober bin ich ins extrem rechte Lager gewechselt.» An jenem Tag seien nach den Terroristen Zivilisten aus Gaza gekommen. Auch sie hätten geplündert, teilweise ebenfalls getötet und Greueltaten verübt.
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Deutschland — in German Israels Trauma: Wohin steuert das Land nach zwei Jahren Krieg?