Die Rechtspopulistin hat Umfragen zufolge gegen Emmanuel Macron kaum eine Chance. Doch es wäre falsch, die 49-Jährige zu unterschätzen. Denn ihre Partei ist auf…
Fast könnte man glauben, ein ungeheurer Meteorit hat Europa am Sonntag nur knapp verfehlt. So groß war die Erleichterung bei vielen Staatschefs und Kommentatoren in Presse, TV und Internet nach der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Und es ist ja auch nicht von der Hand zu weisen: Marine Le Pen geht nicht von der Poleposition aus in die Stichwahl am 7. März. Zudem tritt sie nicht gegen den Linksaußen und Europafeind Jean-Luc Mélenchon an, sondern gegen Emmanuel Macron. Ein Mann also, den man – zumindest, wenn man seine oft etwas nebulösen programmatischen Äußerungen heranzieht – nach deutschen Maßstäben am ehesten in die sozialliberale Schublade stecken würde.
Allerdings kann man die Ergebnisse vom Wahlsonntag auch ganz anders lesen. Zwar konnte Le Pen ihre Enttäuschung darüber, dass Macron sie mit seiner Bewegung „En marche!“ („In Bewegung“) noch abfangen konnte, beim Auftritt vor Anhängern des Front National (FN) kaum verhehlen. Dennoch hat Le Pen einen großen Erfolg eingefahren: 2012 hatte sie noch 17,9 Prozent erreicht, jetzt steht sie mit 21,4 Prozent in der Stichwahl. Dort stand ihr Vater Jean-Marie bereits 2002, als er mit 17 Prozent in das Duell gegen den Konservativen Jacques Chirac einzog, um dann mit 18 zu 82 Prozent unterzugehen.
Das wird sich nicht wiederholen. Auch wenn ein Sieg nicht in Reichweite scheint, wird Le Pen um jeden Prozentpunkt kämpfen. Demonstrativ lässt sie den FN-Vorsitz vorübergehend ruhen, um sich auf den Endspurt zu konzentrieren. Nach einer Umfrage vom Dienstag liegt Macron bei 61 Prozent, Le Pen bei 39 Prozent. Längst – so zeigen Wähleranalysen – sind auch Konservative, ja sogar Anhänger der extremen Linken bereit, Le Pen zu wählen.
Marine Le Pen bietet einfache Erklärungen für Frankreichs Probleme: Die «massive Einwanderung» sei schuld und die Entmündigung durch «Technokraten» aus Brüssel.
Die Rechtspopulistin hat den Auftritt ihrer Partei modernisiert und damit schon viele gute Wahlergebnisse eingefahren.
Nun steht sie wie 2002 ihr Vater Jean-Marie Le Pen in der Stichwahl um den Élyséepalast.
Statt mit der martialischen Flamme der Front National (FN) wirbt die 48-Jährige mit einer Rose, ohne Dornen und natürlich in Marineblau.
Seit sie den Parteivorsitz 2011 von ihrem Vater übernahm, hat sie der Rechtsaußenpartei eine «Entteufelung» verordnet, ein gemäßigteres Auftreten. Offener Rassismus und Antisemitismus werden geahndet.
Le Pen setzt aber weiter auf Abschottung und radikale Positionen gegen Europäische Union und Einwanderung. In ihren Reden spielt sie geschickt auf der Klaviatur von Frust und Ängsten etwa vor dem Islam.
«Feindbilder sind ein fester Bestandteil in der Rhetorik von Marine Le Pen», schreibt Tanja Kuchenbecker, Autorin eines Buchs über die Rechtspopulistin.
Vorwürfe wie den Verdacht der Scheinbeschäftigung von FN-Mitarbeitern im EU-Parlament konnte die Europaabgeordnete ihren Anhängern bislang als Manöver ihrer Gegner verkaufen.
Marine Le Pen kam 1968 als jüngste Tochter des rechtsextremen Polit-Haudegens Jean-Marie Le Pen zur Welt, der die FN in vier Jahrzehnten von einer Splittergruppe zu einer wichtigen Stimme in Frankreich machte.
Im Alter von acht Jahren wurde sie von einer Bombenexplosion aus dem Schlaf gerissen — ein Anschlag auf ihren Vater.
Die Trennung ihrer Eltern wurde zur Seifenoper, als die Mutter im «Playboy» posierte.