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Angela Merkels Jamaika: Alles umsonst

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Wenn die Sondierung platzt, dann wegen CSU und Grünen – dachten alle. Und dann steht die FDP einfach auf und geht. Über Schuld, mehrere Wahrheiten und eine…
In dem Augenblick, als alles vorbei ist, verliert selbst die sonst so nüchterne und kontrollierte Angela Merkel die Beherrschung und zeigt Gefühle. Mit Tränen in den Augen, so erzählen Teilnehmer der letzten Sondierungsrunde, habe sie im Kreis der Verhandlungsdelegationen von CDU und CSU auf die Entscheidung der FDP reagiert, die Verhandlungen für beendet zu erklären. Da ist es kurz vor Mitternacht, und der Versuch einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition ist gescheitert. „Angela Merkel war berührt und tief bewegt“, sagt ein führender Unionspolitiker am Montag gegenüber unserer Redaktion. „Das ging nahe ans Herz.“
Den Beifall der Parteifreunde, die ihr für den vierwöchigen Dauereinsatz in den Verhandlungen danken, nimmt sie mit einer Mischung aus Wehmut und Enttäuschung entgegen. Denn in diesem Moment ist klar: All ihre Bemühungen, politisches Neuland zu betreten und ein in der Geschichte der Bundesrepublik völlig neuartiges Bündnis aus Konservativen, Liberalen und Grünen zu schmieden, waren umsonst. Acht Wochen nach der Bundestagswahl steht die Kanzlerin, die seit der Konstituierung des neugewählten Bundestags nur noch geschäftsführend im Amt ist, wieder bei Null. Und niemand weiß, wie diese Geschichte ausgehen wird.
Man weiß nur: An Rücktritt habe sie in all den Stunden nicht gedacht – sagt sie zumindest später in der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel?“ Und dass sie, sollte es wirklich zu Neuwahlen kommen, wieder als Kanzlerkandidatin antreten will. Schließlich wird sie gefragt, ob sie glaube, im kommenden Jahr noch Kanzlerin zu sein. Sie antwortet: „Ich werde mich bemühen.“
Nach einigen Stunden Schlaf und einer kurzen Denkpause hat Angela Merkel die Fassung wiedergewonnen. Für Trauerarbeit hat die 63-Jährige ohnehin keine Zeit, das Rad dreht sich weiter. Ein für den Mittag geplantes Treffen mit ihrem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte wird kurzfristig abgesagt. Der Bundespräsident hat gerufen. Um zwölf fährt Merkel ins Schloss Bellevue, um Frank-Walter Steinmeier aus erster Hand über das Scheitern der Sondierungen zu berichten und mit ihm den weiteren Verlauf zu besprechen.
Ein schwerer Gang für Angela Merkel. Sie kommt mit leeren Händen, zugleich liegt ihr weiteres politisches Schicksal in der Hand Steinmeiers. Er allein entscheidet, wen er dem Bundestag als Kanzlerkandidaten vorschlägt und ob er nach einem dritten Wahlgang entweder eine Regierung ohne Mehrheit akzeptiert oder den Bundestag auflöst und Neuwahlen ansetzt. Eindringlich und mit ernster Miene appelliert er an alle Parteien, sich in dieser Situation nicht zu verweigern. „Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen“, sagt der Präsident. Er werde daher in den kommenden Tagen mit den Vorsitzenden der Parteien und den anderen Verfassungsorganen Gespräche führen.
So lange nicht entschieden ist, wie es weitergeht, bleiben Angela Merkel und die bisherigen Minister von CDU, CSU und SPD geschäftsführend im Amt. Doch ihre Kompetenzen sind begrenzt und ihre Möglichkeiten eingeschränkt. Entsprechend groß ist die Enttäuschung in der Union über das Verhalten der anderen Parteien. „Gründe für das Scheitern von Jamaika gibt es etliche“, sagt beispielsweise der stellvertretende Unions-Fraktionschef Georg Nüßlein (Neu-Ulm) unserer Redaktion.

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