Die Nachricht kommt per E-Mail, um 16:17 Uhr nachmittags Ostküstenzeit, mit der Betreffzeile « Präsident Obama gewährt Strafnachlässe und Begnadigungen. » Zwischen den Häftlingen Connie Lee Lyons aus Florida und Adan Nieves Martinez aus North Dakota steht der Name von Chelsea Manning , der bekanntesten Whistleblowerin Amerikas. Drei Tage vor Ende der Amtszeit beschließt Obama: Manning kommt im Mai 2017 frei.
Zuletzt hatten US-Medien mehrfach über den kritischen Zustand der transsexuellen Frau berichtet, die in einem Männer-Armeegefängnis in Kansas inhaftiert ist und 2016 zwei Selbstmordversuche unternahm. Die Washington Post zitiert einen früheren Mitarbeiter des US-Präsidenten, wonach Obama überzeugt sei, dass Manning genug gelitten habe und das Strafmaß mit 35 Jahren « exzessiv » ausgefallen sei.
Die Entscheidung kommt nicht überraschend: Am Wochenende wurde bekannt, dass ihr Name auf der Liste jener Häftlinge stehe, die Obama möglicherweise begnadigen werde. Am Freitag hatte Sprecher Josh Earnest entsprechende Andeutungen gemacht: « Chelsea Manning stand vor einem Militärgericht, sie wurde verurteilt und hat Reue gezeigt. » Die 29-Jährige, die als Mann geboren wurde und zunächst Bradley hieß, stellte selbst einen Antrag auf Strafnachlass.
Auch Unterstützer hatten für den in Moskau lebenden Whistleblower Edward Snowden einen Antrag auf Begnadigung gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Laut Sprecher Earnest bewertet Obama Snowdens Fall anders: Der frühere NSA-Mitarbeiter habe sich nicht an seine Vorgesetzten gewandt, sondern Zuflucht in Russland gesucht: « bei einem Staat, der zuletzt versucht hat, das Vertrauen in unsere Demokratie zu untergraben ».
Zudem seien seine Enthüllungen deutlich gefährlicher für die nationale Sicherheit gewesen als jenes Material, das Manning weitergab. Snowden selbst dankte Obama via Twitter für seine Manning-Entscheidung.
Manning war Ende 2009 als US-Soldat mit einer Einheit in den Irak verlegt worden und hatte dort Zugang zum Computernetzwerk mit vertraulichen Unterlagen. Sie kopierte damals Hunderttausende diplomatische Depeschen sowie Videos und Dokumente der US-Behörden und spielte diese 2010 der Enthüllungsplattform Wikileaks zu, die so weltberühmt wurde. Manning kam schnell in Verdacht und befand sich seit Mai 2010 in Militärhaft.
Für weltweite Kritik sorgte damals ein Video aus einem US-Helikopter im Irak , auf dem US-Soldaten zu sehen sind, wie sie aus der Luft mit einem Maschinengewehr zahlreiche Zivilisten und zwei Reuters-Reporter ermorden. US-Diplomaten waren lange beschäftigt, den Schaden zu reparieren, der durch die Veröffentlichung von 250 000 internen Depeschen entstanden war. Darin beschrieben Botschaftsmitarbeiter die Lage in ihrer Region und teilten mit, was sie über örtliche Politiker dachten: Dem damaligen Außenminister Guido Westerwelle wurde eine « überschäumende Persönlichkeit » attestiert.
Im Juli 2013 wurde Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt, was ihren Anwalt als Erfolg wertete: Als Höchststrafe standen 136 Jahre im Raum und die Richterin sprach die Angeklagte vom Hauptvorwurf der « Feindesunterstützung » frei. Dies war insofern wichtig, da die Strafe sonst lebenslange Haft ohne Bewährung gewesen wäre. Manning erklärte damals, sie habe niemanden schaden wollen und sich in einer « persönlichen Krise » befunden. Einen Tag nach dem Urteil ließ sie erklären, künftig als Frau leben zu wollen. Obwohl ihr die Zeit der Untersuchungshaft angerechnet wurde, wäre sie erst 2045 entlassen worden.
Seit ihrer Verurteilung befindet sich Chelsea Manning im Armeegefängnis Fort Leavenworth in Kansas. Dort ist sie Häftling 89289, die einzige Frau unter Hunderten Männern. In einem Briefwechsel mit Charlie Savage, einem Reporter der New York Times schilderte sie Anfang des Jahres ihren Tagesablauf: Um sich vor den Blicken der anderen Häftlinge zu schützen, stehe sie um 4:30 auf, um sich zu schminken und Damenunterwäsche unter ihrer Gefangenenuniform anzuziehen.
Tagsüber fertigt sie Möbel und Bilderrahmen in der Werkstatt der Haftanstalt an. Die restliche Zeit verbringt sie damit, Briefe zu schreiben und Bücher zu lesen. Zuletzt habe sie sich mit « IQ84 » von Haruki Murakami sowie dem Fachbuch « Princeton Companion to Mathematics » beschäftigt; außerdem lese sie Magazine wie Vogue, Cosmopolitan und Vanity Fair.
Es sei ein Vollzeitjob, nur sie selbst zu sein, schreibt sie an Savage. Ihre psychischer Zustand sei instabil, 2016 versuchte sie zwei Mal, sich das Leben zu nehmen. Unter Obama verhält sich das US-Militär gegenüber Transgender-Menschen sehr viel toleranter; so klagte Manning erfolgreich ihr Recht auf eine Behandlung ihrer diagnostizierten Geschlechtsidentitätsstörung ein. Die Armee, der sie immer noch angehört, bezahlt auch ihre Hormon-Behandlung sowie eine Sprachtherapie.
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