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Helmut Kohl: Lieber Langeweile als Faschismus

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Peinlich, provinziell, bauernschlau – für Intellektuelle war Helmut Kohl ein Graus. Sie rieben sich an ihm, dabei entging ihnen etwas Wesentliches: Kohls Traumatisierung.
Was sollte einem Schriftsteller zu diesem Mann schon einfallen? Der Farblose aus Oggersheim hatte etwas massiv Unbelangbares, man konnte ihn nicht einmal richtig angreifen, man konnte sich nur an ihn gewöhnen. Helmut Kohl war der Körper der Macht. Er war da, weil er da war.
Nach einem langen Jahrzehnt und einer halben Ewigkeit hatten die Schriftsteller und Intellektuellen sich schließlich mit ihm abgefunden. Kohl wirkte wie ein gusseisernes Reiterstandbild, an dem man jeden Tag vorbeiläuft und dessen Fehlen man nicht einmal bemerken würde. Endlich, im Jahr 1994, nach zwölf Jahren Amtszeit, schien alles vorbei zu sein. Genug ist genug, und in der ZEIT erinnerten sich Kulturschaffende an „Meine Jahre mit Helmut Kohl“.
Und dann der Schock: Kohl wurde wiedergewählt, und als er nach weiteren vier Jahren Amtszeit 1998 abtreten musste, war das Kulturmilieu sprachlos. Überall in Europa, wunderte sich die NZZ, stritten die Intellektuellen lebhaft über die Zukunft des Kontinents, nur in Deutschland nicht, selbst dem alten Schlachtross Hans Magnus Enzensberger habe es die Sprache verschlagen. Kohl hatte einst die geistig-moralische Wende versprochen. War sie nach sechzehn endlosen Jahren Wirklichkeit geworden?
Das war 1982 noch ganz anders. Als die FDP umfiel und Helmut Schmidts sozialliberale Koalition platzen ließ, herrschte schieres Entsetzen. Kohl als Kanzler? „Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt werden könnte“, schrieb ein entgeisterter Günter Grass und fürchtete, dem Liberalismus könne ein „nicht wiedergutzumachender Schaden zugefügt werden“.

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