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Warum diese königliche Hochzeit das Ende einer Ära ist

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Die einen royal, die anderen loyal – die Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle in Windsor markiert den Beginn einer Ära und gleichzeitig ein Ende. Und der predigende Bischof reißt mal eben alle Standesgrenzen ein.
Um 13.07 Uhr Greenwich Mean Time, als Harry und Meghan als Eheleute aus der St. George’s Chapel treten, ist in England nichts mehr, wie es war. Das englische Königshaus ist für immer verändert. Die britischen Flaggen-Wimpel flattern im „Wind of change“, der mit sechs Kilometern pro Stunde durch Windsor fächelt.
„Eine Frau mit Vergangenheit hat keine Zukunft“, schrieb Oscar Wilde. Das galt für das Königshaus umso mehr. Aber jetzt? Wird Meghan Markle, die geschiedene Schauspielerin aus den Vereinigten Staaten, für genau das Gegenteil gefeiert. Für ihre Eigenständigkeit und dafür, dass sie ein Leben vor dem Hofe hatte. Soeben hat der schwarze Bischof Michael Curry aus Chicago in seiner Predigt vor dem versammelten britischen Hochadel die Standesgrenzen eingerissen, bis die Betroffenen immer konsternierter aussahen. Der Palast erfährt eine schonende Modernisierung? Nein, es ist eine Revolution.
Das Bemerkenswerteste an dieser Braut war, was sie alles nicht dabei hatte, als sie zu ihrer Hochzeit alleine in der Tür der Kirche erschien: keinen Vater, der sie zum Altar führte, keine Trauzeugin, keine Brautjungfer. Sogar ihr Geld hat sie selbst verdient. Diese Frau kann alleine stehen!
Sie tut dies im denkbar schlichtesten Kleid. Alles ist Silhouette und Skulptur, nichts Dekor. Das ist Inhalt statt Verpackung. Die Braut ist ganz Schlüsselbein.
Harry mit knallroten Backen, dahinter die Queen limettengrün im Eichengestühl. Die Brautmutter Doria Ragland weint quasi von Anfang an durch. Oh, it smells like Queen spirit. Orgelsausen.
Als der Bischof von Chicago also mal eben die Standesgrenzen für obsolet erklärt, ist es 12.35 Uhr Greenwich Time. 35 Minuten hat er dafür gebraucht.
Der amerikanische, schwarze Bischof redet über die „befreiende Macht der Liebe.“ Er ruft den Royals zu: „Es liegt Macht in der Liebe.“ Hatte es vorher im Palast nicht jahrhundertelang geheißen: Für die Macht muss man die Liebe opfern?
Der bekannt politische Michael Curry, ein Trump-Gegner und gern provozierend, singt hier ein Loblied auf die Liebe. Liebe sei also Macht. Die wahre Macht nämlich. „Liebt eure Nachbarn! Und wenn du schon dabei bist: Lieb’ dich selber.“ Das Veränderungspotenzial der Liebe, „das ist richtige Macht. Die Macht, die Welt zu verändern.“
Dann erwähnt er die Sklaven aus Amerika, die vor 100 Jahren mitten in der Gefangenschaft auf den Baumwollfeldern mit ihren Gospels diesen „Balsam zur Heilung“ entdeckt haben. Man kann es ja selbst tun! Die Macht sich selbst nehmen! Das wussten die Sklaven damals schon! Martin Luther King habe gesagt, mit der Kraft der Liebe könne man aus der alten Welt eine neue schaffen. Michael Curry kommt in Fahrt. Er wirkt jetzt wie ein Guerilla-Prediger. Darf man an diesem Ort für die Abschaffung der alten Welt werben?
Die Queen muss sichtlich schlucken. Hat sie erwartet, in ihrer privaten Schlosskapelle St. George’s auf Schloss Windsor plötzlich von der Selbstermächtigung der schwarzen Sklaven zu hören? Ein Abkömmling schwarzer Sklaven heiratet soeben ihren Enkel.
„Wenn ihr es nicht glaubt, überlegt euch kurz, wie es sein könnte: Stellt euch eine Welt vor, in der die Liebe der Weg ist: für Nachbarn, Familien, die Wirtschaft. Wenn Liebe der Weg ist, dann werden wir unsere Schwerter und Schilder ablegen und sagen: nie mehr Krieg.“
Im Eichengestühl wird gelächelt. Die Clooneys lächeln, Serena Williams lächelt. Elton John guckt durch die rosa Brille. David Beckham lächelt noch milde, wie man über etwas Schönes, aber doch ganz und gar Utopisches, Märchenhaftes lächelt. „Wenn Liebe der Weg ist, gehen wir ganz anders miteinander um. Dann sind wir alle Brüder und Schwestern!“, ruft Curry.
Alle Brüder und Schwestern! So weit kommt es noch. Das ist eine Absage an die Klassengesellschaft. Wenn nur die Liebe zählt, dann kann man nämlich die Stammbäume vergessen. Dann ist nicht die Herkunft der Weg zur Macht, dann sind es nicht die Institutionen, dann wären wir ja alle gleich! Man kann das auch als eine Ohrfeige für die Queen auffassen. Für die ganze Idee des Adels. In der Tat sehen alle Mitglieder der königlichen Familie immer dunkler durchblutet aus.
Jetzt kann Meghan nicht aufhören zu lächeln. „Alles was ich habe, teile ich mit dir“, sagt Harry zu ihr. „All that I am I give to you“, verspricht sie ihm.
Hinter ihnen in der Kirche sind so viele Schwarze, dass es ein mächtiges Statement wird: die Künstler, ein komplett schwarzer Gospel-Chor, der junge Star-Cellist, der Chicagoer Bischof mit seiner feurigen Predigt, die er partout nicht ohne die Sklaven von den Baumwollfeldern halten wollte, im Publikum Oprah Winfrey. Dafür, dass die Royals unpolitisch sein sollen, ist das eine kräftige Aussage. Wer solche Freunde hat, wer so heiratet, braucht keine Demonstration gegen Rassismus mehr anmelden. Das Brautpaar lächelt sich zu. Der schwarze Chor singt „Stand by me“. Und jetzt swingen sie da hinten auch noch. Wird Meghan Markle die Michelle Obama des Königshauses?
Kate, das Gegenmodell der perfekten Anpassung, die sonst unablässig strahlt, sieht ernsthaft getroffen aus. Vielleicht ist Anpassung doch nicht die einzige Lösung?
Als um 12.40 Uhr der Bischof von Canterbury die Hände von Harry und Meghan mit seiner Stola umwickelt, ist der einst schillerndste Junggeselle Englands verheiratet. Aber wie es jetzt aussieht, könnten damit die revolutionären Zeiten für den Palast erst beginnen.
Ihr Finger umschlossen von dem neuen Ehering, die beiden umringt von 600 Gästen in der Kirche, den Kirchenmauern, darum ein Ring aus exakt 2640 geladenen „Commoners“, Normalos, die so gewöhnlich sind, dass das Außergewöhnlichste an ihnen ihre Einladung zu dieser Hochzeit ist. Katzenminzen, Flieder, die Kastanien haben ihre weißen Kerzen aufgesteckt. Wer solche Bäume hat, braucht keine Sonnenschirme. Nun, da die Übertragungskabel der Welt über den Mauern mit den Kletterhortensien und Wisterien hängen und aus dem Schloss übertragen, scheint die Begeisterung völlig unironisch, ungebrochen.

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