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Der Skandal erreicht die Spitze

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Lange galt er im Dieselskandal als unantastbar – doch damit ist jetzt Schluss: Gestern ließ die Staatsanwaltschaft München Audi-Chef Rupert Stadler verhaften. Das Vorgehen der Justiz ist Zeichen einer neuen Entschlossenheit an die Autoindustrie – und bringt auch die Konzernchefs in Wolfsburg in Bedrängnis.
Es lagen scheinbar Welten zwischen Wolfsburg und Ingolstadt im September 2015. Während Dieselgate über die VW-Zentrale hereinbrach, fühlte sich Rupert Stadler 500 Kilometer weiter südlich offenbar sicher: Audi habe mit all dem wenig zu tun, ließ der Chef der Konzerntochter verbreiten. Auch intern achteten die Audi-Leute auf Distanz zum plötzlich schmuddeligen Wolfsburg – noch mehr als sonst. Als die US-Umweltbehörde EPA im November auch Vorwürfe wegen eines Audi-Diesels erhob, kam das Dementi aus Ingolstadt blitzschnell und glasklar. Es war nur leider falsch.
Seit jenen Tagen ist der Mann, der am liebsten mit allem nichts zu tun haben wollte, Stück für Stück immer tiefer in den Skandalstrudel geraten. Die Staatsanwaltschaft München, gestählt im Siemens-Schmiergeldskandal und der MAN-Korruptionsaffäre, hat die Daumenschrauben immer weiter angezogen. Im Frühjahr 2017 ließ sie die Audi-Zentrale durchsuchen, während der Chef nebenan in einer Pressekonferenz die Unternehmensbilanz präsentierte. Im Februar 2018 folgten Hausdurchsuchungen, seit Anfang Juni werden Stadler und ein weiterer nicht genannter Audi-Vorstand als Beschuldigte geführt. Und seit Montag früh sitzt Stadler in Haft.
Es habe Hinweise gegeben, „dass die Gefahr einer Verdunkelungshandlung besteht. Und das hat zu dem Haftbefehl geführt“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft – im Übrigen schweigen die Ermittler. Die Vorwürfe lauten auf Betrug und mittelbare Falschbeurkundung im Zusammenhang mit manipulierter Abgastechnik. Audi soll in den USA und Europa von 2009 an rund 220 000 Dieselautos mit Schummelsoftware verkauft haben.
Dass die Staatsanwaltschaft jetzt die schweren Geschütze auffährt, dürfte auch mit einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts zu tun haben: Vor zwei Wochen hat die Behörde Audi zum Rückruf mehrerer Modelle verdonnert. Und dabei geht es nicht um alte Autos aus der Zeit vor 2015, sondern um aktuelle Euro-6-Diesel. Dass mitten in der Aufarbeitung des Skandals noch Motoren mit Abschalteinrichtung verkauft wurden, könnte das Fass zum Überlaufen gebracht haben.
Das dürfte auch für die Konzernspitze gelten. Als sich am Montagmittag der VW-Aufsichtsrat zur lange geplanten Routinesitzung traf, war die Tagesordnung hinfällig. Um Stadler werde es nicht gehen, hatte es in der vergangenen Woche noch geheißen. Der 55-Jährige gilt zwar seit Monaten als angezählt, aber vor allem die Familien Porsche und Piëch hielten zu ihrem langjährigen Vertrauten. Gerade erst hat Stadler seine Position gefestigt: Der neue Konzernchef Herbert Diess ließ ihn nicht nur im Amt, er machte Stadler vor zwei Monaten auch noch zum Konzernverantwortlichen für den Vertrieb. Der VW-Aufsichtsrat tagte bis in den Abend hinein, aber an einer Beurlaubung Stadlers führt kein Weg vorbei. Ein endgültiger Rauswurf ist dagegen schwierig: Mit dem Inhaftierten, für den weiter die Unschuldsvermutung gilt, kann derzeit niemand über eine Vertragsauflösung verhandeln.
Zunächst sah es so aus, als sei Audi nur durch die bei VW eingekauften Motoren vom Dieselskandal betroffen. Doch inzwischen ist ein bei Audi entwickelter Sechszylinder-Diesel in den Fokus gerückt, das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat zwei Rückrufe eingeleitet. Zu deren aktuellen Stand konnte das Amt gestern allerdings nichts sagen. Bei Pflichtrückrufen bekommt der Autohersteller vom KBA die Adressen der Autobesitzer und schreibt sie an. Man muss also nicht von sich aus in die Werkstatt fahren. Ein Überblick:
Rückruf 1: Der inzwischen berühmt gewordene Vierzylinder-Dieselmotor EA 189 von Volkswagen wurde auch in diversen Modellen der Konzernschwester Audi aus den Jahren 2008 bis 2015 eingesetzt. Mit 1,6 und zwei Litern Hubraum findet sich das Euro-5-Aggregat mit manipulierter Software in den Modellen A1, A3, A4 und A6, TT, Q3 und Q5.

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