Bundeswehr-Verhaltenskodex: Soldaten unter Generalverdacht
Die Verteidigungsministerin will der Bundeswehr einen Verhaltenskodex mit restriktiven Regeln für den Umgang mit Parlament und Medien vorschreiben. Die Soldaten empfinden das als Misstrauensvotum, der Wehrbeauftragte spricht von unnötigem Generalverdacht.
Am Anfang stand ein Gewehr, genauer das Sturmgewehr G36. Weil das unter bestimmten Extrembedingungen nicht präzise trifft, entschied Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, es auszumustern. Im Zuge des medial ziemlich aufgebauschten vermeintlichen Skandals um das Gewehr ließ die CDU-Politikerin auch das Verhältnis zwischen Streitkräften und Industrie untersuchen. Das Ergebnis: Waffenschmieden und Wehrressort haben eine ungute Nähe entwickelt – manche sprechen gar von Filz.
Dem will von der Leyen mit einem Verhaltenskodex für alle Mitarbeiter der Bundeswehr, zivil wie militärisch, einen Riegel vorschieben. Solche neudeutsch als Compliance-Richtlinien bekannten Regeln kennt man vor allem aus Unternehmen. Sie beschreiben das Selbstverständnis der Firma und die Leitlinien für das Verhalten der Mitarbeiter. Und weil unter von der Leyen im Wehrressort Unternehmensberater hoch im Kurs stehen, brauche nun wohl auch die Bundeswehr solche Compliance-Regeln, unken manche in ihrem Haus.`
Es gehe vor allem darum, dass „keine Kontakte zur Rüstungsindustrie unterhalten werden, die intransparent sind“, sagt Ministeriumssprecher Jens Flosdorff. Doch warum dann Regeln für die gesamten Streitkräfte? Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, kann den Vorstoß nicht nachvollziehen, er bezeichnet das Vorhaben im Gespräch mit tagesschau.de als „maximal ungeschickt“ und ergänzt: „Man fragt sich bei dem ganzen Compliance-Kodex: Was ist eigentlich das Problem, wenn dies die Lösung ist? Wenn man für bestimmte Geschäftsbeziehungen des Ministeriums zur Rüstungsindustrie Verhaltensregeln aufstellen will, dann gibt es dafür einen ziemlich beschränkten Personenkreis. Was der Panzergrenadier damit anfangen soll, erschließt sich mir überhaupt nicht. „
Bei der Truppe werde ein verbindlich vorgeschriebener Kodex zudem als „Misstrauensvotum“ wahrgenommen, so Bartels. Er rät, das Ministerium solle Lösungen für wirkliche Probleme suchen und nicht „alle Soldatinnen und Soldaten unter Generalverdacht stellen. „
Tue man nicht, entgegnet das Wehrressort und erklärt auf Anfrage: „Die Loyalität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht nicht in Frage. Der Verhaltenskodex trifft daher auch keine besonderen Maßnahmen zur Sicherung der Loyalität. “ Und doch droht das Papier bei Zuwiderhandlung ausdrücklich mit allen Konsequenzen, die gesetzlich möglich sind. In einem älteren Entwurf, aus dem die „Bild“-Zeitung zitiert hatte, wurde den Angehörigen der Bundeswehr gar nahegelegt, Verdächtige bei ihren Vorgesetzten zu denunzieren.
Ein besonderes Anliegen des Ministeriums ist offenbar auch der Kontakt zu Parlament und Medien. So war in einer ersten Version davon die Rede, dass Soldaten jeglichen, auch informellen Kontakt zu Abgeordneten und Journalisten zu meiden hätten. Inzwischen sind viele Formulierungen entschärft, aber das Kontaktverbot zu Journalisten gibt es immer noch: „Eigenständige Kontakte zu Medienvertretern in dienstlichen Angelegenheiten oder mit dienstlichem Inhalt finden nur statt, soweit sie im Einzelfall ausdrücklich autorisiert sind“, heißt es in einer aktuellen Variante, die tagesschau.de vorliegt und über die zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte.
Für den Umgang mit Abgeordneten verweist das Papier ausdrücklich auf die Zuständigkeit des entsprechenden Referates in der Wehrbürokratie. Matthias Gebauer, Chefreporter von „Spiegel Online“, sieht den Kodex als Bestätigung von der Leyens Linie, absolute Kontrolle haben zu wollen. Zwar lasse auch sie gezielt vertrauliche Informationen an die Medien durchsickern – etwa, um Stimmung für einen höheren Verteidigungsetat zu machen – aber eben immer nur, „um ein Ziel zu verfolgen, das ihr dient“, so Gebauer. Von der Leyens Kalkül mag also politisch verständlich erscheinen, ob es der Bundeswehr als Parlamentsarmee in der Demokratie gerecht wird, ist fraglich.
Abgeordnete und Journalisten bräuchten möglichst ungeschönte Einblicke in die Streitkräfte, mahnt auch der Wehrbeauftragte: „Es soll ein realistisches Bild von der Bundeswehr geben und nicht ein Potemkinsches Dorf aufgebaut werden durch Sprachregelungen, die erst einmal ausgegeben werden müssen, damit die Soldaten wissen, wie ihre Realität ist. Nein, das wissen sie selber, und darüber können sie Auskunft geben. „
Das Ministerium betont stets, der Kodex habe nicht das Ziel, „den Umgang mit der Öffentlichkeit oder mit den Abgeordneten neu zu regeln, sondern klare Rollenverteilungen und Rollentrennungen zu haben“. Es gehe darum, das niemand „unzuständigerweise“ Auskünfte gebe. Außerdem fasse der Kodex im Grunde nur bekannte Regelungen aus dem Soldaten- und Beamtenrecht zusammen.
Wäre das tatsächlich so, sei der Kodex eigentlich überflüssig, kritisiert der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, der Sozialdemokrat Wolfgang Hellmich. Er sieht in den Compliance-Richtlinien den Versuch des Ministeriums, sich Zuständigkeiten anzueignen, die es gar nicht habe. Das sei „rechtlich ausgesprochen problematisch“.
Für die Abgeordneten erschwere der Kodex zudem die Möglichkeiten, eine realistische Einschätzung von den Zuständen in der Bundeswehr zu bekommen: „Soldatinnen und Soldaten sagen uns immer wieder, dass in der Meldekette manche Informationen verloren gehen“, so Hellmich. Er sehe in den Compliance-Regeln „die Tendenz, die Rechte und Pflichten der Soldatinnen und Soldaten wie der Beamten und der zivilen Beschäftigten einzuschränken – über die Einschränkungen hinaus, die es schon gibt“.
Eine geplante Einschränkung musste von der Leyen allerdings bereits zurücknehmen. Ursprünglich hatte ihr Haus geplant, den Angehörigen der Bundeswehr die Mitgliedschaft in Lobbyverbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik oder dem Förderkreis des Heeres wegen vermeintlich zu großer Nähe zur Industrie zu verbieten. Doch der Widerstand bei aktiven wie ehemaligen Soldaten war gewaltig.
Nun steht im Entwurf des Verhaltenskodexes nur noch, man solle Kontakte zu solchen Organisationen und zur Industrie „zurückhaltend und transparent“ gestalten. Das ist eine Niederlage für die Ministerin, die sich die Neugestaltung des gesamten Rüstungssektors auf die Fahne geschrieben hat.
© Source: http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-419.html
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