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Warum mich eine Experten-Anhörung zu Kindesmissbrauch so empört hat

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Juristen zeigen eine fatale Schwäche im Umgang mit sexualisierter Gewalt an Kindern. Grund ist ihre Überheblichkeit. Ein Gastbeitrag.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder schockiert. Es schockiert, wozu Menschen fähig sind. Es schockiert, dass staatliche Strukturen in jedem einzelnen Fall nicht schützen konnten. Es schockiert, was Opfer nach der Gewalt vor Gericht teils erleben müssen. Letzteres soll hier Thema sein. Ein kleiner Ausschnitt der bundesdeutschen Realität: Ein Opferberater arbeitet monatelang mit einem von schwerster Gewalt betroffenen Kind darauf hin, dass das Kind gegenüber einer fremden Person über die Gewalt spricht. Sie betreten das Gerichtsgebäude. Im Flur begegnet das Kind dem Täter. Das Gericht war nicht in der Lage, zeitlich versetzte Termine anzuberaumen. Das Kind bricht zusammen. Es wird das Gebäude nicht mehr betreten. Der Prozess ist gescheitert. Es gibt keine anderen Beweise. Den Eltern eines von sexualisierter Gewalt traumatisierten Mädchens wird gesagt, es dürfe keine Therapie wegen des Einnässens und der Schlafstörungen vor dem Strafverfahren beginnen. Die Aussage sei ansonsten „verzerrt“ und „Suggestivbeeinflussungen der Therapeutin“ nicht auszuschließen. Das Verfahren wird nach einem halben Jahr eröffnet. Der Zustand des Mädchens hat sich verschlimmert. Im Falle eines Jungen, der gegen Geld fremden Tätern zugeführt wird, verzichten das Familiengericht und das Oberlandesgericht auf die persönliche Anhörung des Kindes und die Beiordnung eines Verfahrensbeistandes. Beides ist im Gesetz vorgesehen. Gegen die Entscheidung des Jugendamts muss der Junge zurück in die Familie und ist dem Täter weiter ausgesetzt. Der Fall liegt in Staufen. Gehe ich auf Ursachensuche, höre ich oft: Einzelfälle. Aber: Zu massiv sind die Beispiele, die mir aus der Praxis Monat um Monat zugetragen werden. Ich vermag an diese Mär der Zufälligkeit nicht mehr glauben. Ich bin der Überzeugung, sie hängen mit einer strukturellen Überheblichkeit der juristischen Disziplinen zusammen, anderen Fachdisziplinen überhaupt erstmal nur zuzuhören. Entsprechend hat mich auch die Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 7. Dezember 2020, an der neben mir überwiegend Vertreterinnen und Vertreter der Rechtswissenschaft und Interessensorganisationen von Juristinnen und Juristen als Sachverständige geladen waren, entsetzt. Missbrauch von Titeln, von Scheckkarten – von Kindern? Unisono konnte man die anderen Sachverständigen dabei beobachten, wie sie sich über den Begriff der sexualisierten Gewalt empörten. Ja, es stimmt. Der Begriff der sexualisierten Gewalt ist kein juristischer.

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