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„Putin repräsentiert Faschismus in neuem Gewand“

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Die Friedensaktivistin Angelika Claußen und der Sozialdemokrat Karl Adam über den Ukraine-Krieg, den Umgang mit Moskau und politische „Lebenslügen“.
Erstellt: 30.07.2022, 07:23 Uhr
Von: Martin Benninghoff
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Die Friedensaktivistin Angelika Claußen und der Sozialdemokrat Karl Adam über den Ukraine-Krieg, den Umgang mit Moskau und politische „Lebenslügen“.
Frau Claußen, Herr Adam, mit der Bitte um kurze Antworten: Kann die Ukraine diesen Krieg gewinnen, den Russland begonnen hat?
Adam: Ja.
Claußen: Nein.
Soll Deutschland Waffen an die Ukraine liefern?
Adam: Ja.
Claußen: Nein.
Kann man mit Kremlchef Wladimir Putin verhandeln?
Claußen: Schwierig, aber ja.
Adam: Nein.
Frau Claußen, wir sprechen hier wenige Stunden nach dem russischen Angriff auf die Hafenstadt Odessa. Russlands Außenminister Lawrow hat deutlich gemacht, dass die Ukraine als Staat vernichtet werden soll. Wie soll man da noch mit seinem Chef Putin verhandeln?
Claußen: Ich misstraue Wladimir Putin zutiefst, das ist ein KGB-Mann, ebenso wie sein Netzwerk. Aber wenn man einen Krieg beenden will, muss man nun mal mit den Gegnern verhandeln. Es sei denn, es kommt zu einem Siegfrieden Russlands oder der Ukraine, stellvertretend für die Nato, der bedeuten würde, dass viele weitere Städte in der Ukraine zerstört werden und viele Menschen sterben. Verbrannte Erde, verwundete Seelen sozusagen. Deshalb müssen die beteiligten Regierungen wieder zu Verhandlungen kommen. Dabei sollte die USA als wichtiger Akteur der Nato an den Tisch geholt werden.
In einem Beitrag haben Sie, Frau Claußen, geschrieben, Kiew und Moskau müssten „beidseitig gesichtswahrend“ zu einem Waffenstillstand kommen. Was kritisieren Sie an der Aussage, Herr Adam?
Adam: Ich finde die Vokabel „gesichtswahrend“ unglücklich gewählt und in der Sache relativierend. Es ist in der internationalen Politik ja eher selten, dass so klar ist, wer der Aggressor und wer der Angegriffene ist. Normalerweise sind die Dinge komplizierter, hier sind sie erstaunlich eindeutig: Russland ist der Aggressor. Alles Relativieren, alles Differenzieren, bei dem wir Linken so gut sind, verwässert diese eine Tatsache. Und dieses Verwässern ist mir viel zu verbreitet.
Inwiefern?
Adam: Eine „gesichtswahrende“ Lösung für Putin kann es nicht geben, weil er sein Gesicht längst verloren hat. Machen wir uns nichts vor: Diese russischen Narrative, wonach Staaten wie die Ukraine, gleichsam „russischer Boden“, zurück in eine Art großrussisches Reich geholt werden soll, das ist eine zutiefst revisionistische Ideologie aus dem 19. Jahrhundert. Russland darf mit dieser Ideologie nicht erfolgreich sein!
Claußen: Das ist Russlands Mythos über die eigene Vergangenheit, Herr Adam! Es geht jetzt um die Zukunft: Russland ist nun mal eine große Atommacht, daran gibt es nichts zu deuteln. Ich halte es da mit dem ehemaligen Bundeswehr-General Erich Vad, der gesagt hat, mit einer Atommacht wie Russland könne man keinen Krieg führen. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass wir in einen Atomkrieg geraten. Zugleich bietet diese Perspektive eine Chance für Kooperation: Einen Atomkrieg zu vermeiden, das wäre ja ein übergeordnetes Ziel für die Nato, für Russland, China und weitere Atomstaaten.
Da sind Sie sich wahrscheinlich sogar einig. Aber ist das der richtige Zeitpunkt, ausgerechnet jetzt über Kooperation und ein Erstschlagverbot nachzudenken?
Claußen: Wir können doch auf Erreichtes stolz sein und dürfen nicht nachlassen: Die Friedensbewegung hat den Atomwaffenverbotsvertrag mitinitiiert. Es zeigt sich, auch bei der Bekämpfung der Klimakrise sind wir auf Kooperation angewiesen. Wir haben keine andere Wahl als Zusammenarbeit. Vor dem Hintergrund der drängenden Fragen halte ich es für vergeudete Mühe, Putin und seiner Ideologie in jeder Einzelheit zu widersprechen – das führt nicht in die Zukunft.
Herr Adam, haben Sie keine Sorge vor einem Atomkrieg?
Adam: Vorauseilenden Gehorsam vor der russischen Atommacht halte ich für nicht angebracht. Natürlich müssen wir das Thema ernst nehmen, aber vor einem Atomschlag liegen noch viele Eskalationsstufen. Ich teile allerdings Ihre Betonung der Klimakrise, das ist in der Tat die wichtigste Aufgabe von Gegenwart und Zukunft. Aber was bedeutet das für unser Gespräch? Russland verfolgt doch ein völlig anderes Zivilisationsprojekt, wenn ich es überhaupt so nennen sollte – eines beispielsweise ohne jegliche Bemühungen beim Klimaschutz. Ein großrussischer Wirtschaftsraum wird sicherlich nicht dekarbonisiert werden. Aus ökologischer Sicht wäre doch eine Ukraine als EU-Mitglied ein viel größerer Gewinn als eine russische Ukraine, die so weiter macht wie zu Sowjetzeiten.
Claußen: Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch ich möchte, dass die Ukraine der EU beitritt. Aber Putin und sein Netzwerk sind nun mal Realität, und wir müssen einen Weg finden, wie wir mit diesem Regime zurechtkommen und unsere Ziele erreichen. Aber das funktioniert nur im Rahmen von Verhandlungen, nicht durch Waffenlieferungen, die die öffentliche Debatte in Deutschland dominieren.

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