Der « Spiegel » wird 70 Jahre alt. Beschimpft wurde er von Anfang an, doch das Nachrichtenmagazin prägte die frühen Jahre der Bundesrepublik. Die Bedeutung von damals hat er verloren, eine wichtige Stimme ist das Heft jedoch immer noch.
Den hohen Anspruch haben sie an der Hamburger Ericusspitze auch nach 70 Jahren nicht aufgegeben. « Sagen, was ist », prangt in großen Buchstaben in der Eingangshalle des Spiegel-Gebäudes in der Hamburger Hafencity – ein Zitat von Magazingründer Rudolf Augstein, das für die Redaktion des Nachrichtenmagazins « Vermächtnis und Ansporn » sein soll, wie der « Spiegel » in seiner aktuellen Ausgabe schreibt.
Vor genau sieben Jahrzehnten, am 4. Januar 1947, erschien die erste Ausgabe des Magazins. Der Verlag saß damals noch in Hannover, Gründer Rudolf Augstein war gerade einmal 23 Jahre alt. Gerade einmal 15.000 Ausgaben der Nummer 1 wurden gedruckt, doch der Leserkreis blieb nicht lange so überschaubar. Bereits 1950, als der « Spiegel » nach Hamburg umzog, wurden allwöchentlich bereits rund 87.000 Exemplare verkauft, später mehr als eine Million.
Doch der « Spiegel » war gerade in seiner Anfangszeit mehr als nur ein erfolgreiches Magazin. Durch investigative Recherchen legte sich das Blatt mit den Mächtigen an. « In der Ära Adenauer waren wir das Sturmgeschütz der Demokratie, mit verengten Sehschlitzen », so Augstein über die frühen « Spiegel »-Jahre.
Für diese Überzeugung wanderte er 1962 für 103 Tage ins Gefängnis, nachdem sein Blatt unter dem Titel « Bedingt abwehrbereit » Details über eine Übung der NATO ausgeplaudert hatte. Der Staat schlug zurück, besetzte und durchsuchte die Redaktionsräume und nahm mehrere Mitarbeiter fest. Bundeskanzler Adenauer sprach im Bundestag von einem « Abgrund von Landesverrat ». Am Ende musste sich die Regierung jedoch fügen. Augstein kam wieder frei. Sein Gegenspieler, der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, verlor hingegen sein Amt. Die « Spiegel-Affäre » ging als einer der prägendsten Momente der jungen Bundesrepublik in die Geschichte ein.
« Der ‘Spiegel’ hat über Jahrzehnte zur Modernisierung und Rationalisierung der Bundesrepublik beigetragen », erklärt Volker Lilienthal, Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, im Gespräch mit tagesschau.de. Die Recherchen und Enthüllungen des Magazins hätten Druck auf die Mächtigen ausgeübt, sich auf Veränderungen einzulassen.
Damit hat sich der « Spiegel » nicht nur Freunde gemacht. Zum Jubiläum schmücken mehr oder weniger wütende Zitate von fünf deutschen Bundeskanzlern die Titelseite des Magazins. « Dieses Scheißblatt », nannte demnach Willy Brandt das Heft aus Hamburg. « Schad’ fürs Geld » urteilte Helmut Kohl, der dem Blatt seit mehr als 40 Jahren kein Interview mehr gegeben hat.
Kritik am « Spiegel » ist indes nicht nur Bundeskanzlern vorbehalten. Hans Magnus Enzensberger nahm sich das Magazin bereits 1957 in seinem Essay « Die Sprache des « Spiegel » » zur Brust, unterstelte dem Heft eine « Sprache von schlechter Universalität », die äußerhalb der Magazinspalten nicht existiere. Dauerbrenner ist zudem die Klage, der « Spiegel » sei früher « politischer » gewesen. « Mit Getöse dargebotene Titelgeschichten über Fußballer, die Steuern sparen wollen, kann man sich sparen », sagt etwa der Autor und Medienkritiker Lutz Hachmeister mit Blick auf die jüngsten « Spiegel »-Enthüllungen.
Auch Journalismus-Professor Lilienthal findet, dass das Magazin auf dem Titel manchmal übertreibt. Das Cover zur Titelgeschichte « Stoppt Putin Jetzt! » aus dem Jahr 2014 sei beispielsweise schwierig gewesen. « Da drohte der ‘Spiegel’, die Grenze zum Kampagnenjournalismus zu überschreiten“, so Lilienthal. Mittlerweile habe das Heft jedoch wieder « seine Mitte » gefunden.
Doch es sind nicht nur die Inhalte, die den « Spiegel » interessant machen. Für Beobachter der Medienbranche hat das Haus eine ähnliche Faszination wie der Hamburger SV für Sportsfreunde. Konflikte zwischen dem Heft, der Online-Redaktion und der TV-Sparte werden gern halböffentlich ausgetragen. Auch wechseln die Chefredakteure des Magazins mittlerweile mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Der derzeitige « Spiegel »-Chef Klaus Brinkbäumer leitet die Redaktion seit mittlerweile zwei Jahren. Er ist bereits der vierte Mann an der Spitze des Hefts, seit 2008 mit Stefan Aust der letzte Chefredakteur abtrat, den der 2002 verstorbene « Spiegel »-Gründer Augstein noch selbst installiert hatte.
Die Gründe für die Unruhe sind unterschiedlich. Auch der « Spiegel » kämpft mit einer sinkenden Auflage. Sie liegt mittlerweile bei unter 790.000 verkauften Exemplaren. Gleichzeitig schwelt im Haus der Konflikt zwischen den Mitarbeitern der TV- und Online-Sparten, die gegenüber ihren Print-Kollegen schlechter gestellt sind. Hinzukommt eine einmalige Eigentümerstruktur. Der « Spiegel » gehört zu 50,5 Prozent einer KG, in der Mitarbeiter des Magazins und des Verlags organisiert sind. 25,5 Prozent hält der Zeitschriftenverlag Gruner+Jahr, die restlichen 24 Prozent sind im Besitz der Augstein-Erben.
Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es dem « Spiegel » lange, nicht nur publizistisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Der Trend zeigt jedoch in eine andere Richtung. So schrumpfte der Umsatz des Verlages in den vergangenen zehn Jahren von 322 Millionen Euro auf 284 Millionen Euro. « Spiegel »-Chef Brinkbäumer kündigte deshalb jüngst erneut an, neue Einnahmequellen erschließen zu wollen, etwa mit Bezahlmodellen für « Spiegel Online » und durch die Einführung eines neuen Hefts mit dem Titel « Spiegel Classic », das sich an ältere Leser richten soll. Auch setzte er im Verlag ein Sparprogramm durch, das einen Stellenabbau und – erstmals in der Geschichte des « Spiegel » – betriebsbedingte Kündigungen enthält.
Leitmedium ist der « Spiegel » trotz allem noch. Kaum ein anderes Medium wird so häufig zitiert wie das Hamburger Magazin. Auch schafft es das Heft immer wieder, mit großen Geschichten die Agenda zu prägen – zuletzt mit den Enthüllungen über die gekaufte Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. « Der « Spiegel » ist immer noch eine wesentliche Stimme », sagt Professor Lilienthal. Das Monopol auf gut recherchierte Geschichten, die den Mächtigen Druck machen, hat das Blatt allerdings verloren. « Anders als noch in den 1960er Jahren liefern heute auch Tageszeitungen wie die ‘Süddeutsche Zeitung’, ‘Die Welt’ oder die ‘Frankfurter Allgemeine Zeitung’ wichtige Recherchen und Enthüllungen », so Lilienthal. « Für die Demokratie kann das nur gut sein. «
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