Домой Deutschland Deutschland — in German Eine bittere Erkenntnis wird plötzlich relevant

Eine bittere Erkenntnis wird plötzlich relevant

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Die Eskalation in Nahost verschärft auch in Deutschland die islamistische Terrorgefahr. Das lehrt eine Erfahrung aus dem Bosnienkrieg.
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,
eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Ihnen heute etwas Leichtes zu servieren. Irgendwas mit Wetter, Sport, Fernsehen oder so. Aber dann fiel mein Blick auf einen Jahrestag, der leider – wie so vieles gegenwärtig in der Welt – gar nicht leicht ist. Aber er ist wichtig.
In der kommenden Woche wird es dreißig Jahre her sein, dass Panzergranaten die Brücke von Mostar pulverisierten. Ohne Strategie, ohne taktischen Sinn, einfach nur so. Man muss ein bisschen älter sein, um sich daran zu erinnern, dass der Name dieses Balkan-Örtchens auf den Titelseiten aller Zeitungen zu lesen war und in der «Tagesschau» über den Bildschirm flimmerte. Mostar ist ein malerisches Städtchen in südländischer Landschaft, in der Mitte geteilt von einem kleinen Fluss. Eine Brücke aus dem 16. Jahrhundert schwang sich in einem eleganten Bogen darüber, als Sinnbild der Stadt und der Verbundenheit seiner Teile über alle ethnischen Grenzen hinweg. Während der Balkankriege wurde sie Anfang November 1993 von kroatischen Soldaten zerschossen. Mit großem Tamtam baute man sie zwar Jahre später wieder auf, verbindende Wirkung entfaltet sie aber nicht mehr. Die Erinnerung an die Belagerung, an die mörderischen Kämpfe in der geteilten Stadt, an die Scharfschützen, die Frauen und Kinder beim Wasserholen töteten, all das ist noch da.
Der Krieg in Bosnien-Herzegowina stellte an Brutalität und Grausamkeit alles in den Schatten, was sich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ereignet hatte. Allein in den ersten Monaten brachten serbische Milizen im Osten Bosniens Tausende Zivilisten um, errichteten Konzentrationslager und Folterkerker. Menschen wurden in Häuser gepfercht, dann Handgranaten hinterher, angezündet. Der Wahnsinn erreichte seinen Höhepunkt gegen Ende des Krieges in Srebrenica, einer von den Vereinten Nationen geschützten Enklave für bosnische Muslime, die vom Kriegsverbrecher Ratko Mladić und dessen Schergen überrannt wurde. Sie ermordeten mehr als 8.000 Menschen.
Es wird Sie wahrscheinlich nicht überraschen, wenn ich Ihnen verrate, dass das Verhältnis der Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina bis heute vergiftet ist. Aber vielleicht fragen Sie sich nun doch, warum ich heute auf die Gräuel der Neunzigerjahre zurückkomme. Haben wir nicht genug furchtbare Nachrichten? Erleben wir nicht genug Schlimmes in unseren eigenen Tagen?
Das ist wohl wahr. Aber nicht nur eine zerstörte Brücke hat uns etwas mitzuteilen, sondern auch das Nachspiel des Balkankonflikts. Eigentlich ist er vorbei – und doch wieder nicht. Das Misstrauen, das jeder empfindet, der die Leute aus dem Nachbardorf mit Kalaschnikows auf sich zustürmen sah, ist noch da. Das Wissen, dass unter den Menschen in der Nähe Mörder, Vergewaltiger und Kriegsverbrecher wohnen, entfaltet seine zersetzende Wirkung noch immer. Der Horror in Bosnien erteilt uns eine simple, aber grundlegende Lektion: Ein herkömmlicher Krieg einerseits und einer, der mit Massakern geführt wird andererseits – das sind zwei unterschiedliche Zustände. Irgendwann schweigen die Waffen. Aber mit einem Frieden, der den Namen verdient, ist es nach solchen Gräueltaten auf Dauer vorbei.
Deshalb sind die grausamen Geschehnisse auf dem Balkan leider nicht nur für die Bewohner der Region oder für Geschichtsinteressierte relevant.

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